Melanchthonkirche

Die Verborgene

Eingepasst zwischen der Kindertagesstätte „Arche Noah“ und der Häuserreihe der Maxstraße liegt etwas zurückgesetzt die Melanchthonkirche. Leicht geht man daran vorüber ohne sie zu bemerken. In der Dunkelheit jedoch, wenn die fünf bunten Glasfenster von innen beleuchtet sind, erahnt man hinter den Mauern eine Kirche.

Keine 50 Meter von der Melanchthonkirche entfernt steht der Turm der ehemaligen Lutherkirche, der größten evangelischen Kirche, die es vor dem Krieg in Ludwigshafen gab. In der Nacht vom 4. auf den 5. September 1943 wurde diese bei einem Luftangriff weitgehend in Schutt und Asche gelegt. Pläne sie wieder aufzubauen gab es, doch wurden sie nie realisiert.

Das Notkirchenprogramm

Schon 1942 begannen geheime Verhandlungen zwischen den evangelischen Kirchen in Amerika und Deutschland. Der
Weltrat der Kirchen hatte entschieden, mit Spenden aus aller Welt - insbesondere aus den USA - für die vielen Gemeinden in Deutschland, deren Kirchen zerstört worden waren, neue Gottesdiensträume zu schaffen.

Im Februar 1948 erhielt die Kirchengemeinde im Zentrum Ludwigshafens die Nachricht, dass „die Zuteilung einer größeren Notkirche schon in nächster Zeit an eine pfälzische Gemeinde erfolgen kann… und, dass nur unsere Gemeinde hierfür in Betracht kommt. Die Mitteilung wurde von allen Presbytern mit großer Freude aufgenommen.“ Bescheiden war man nicht, denn man ging davon aus, dass es nicht weniger als 450 Sitzplätze in der Kirche geben dürfte. Am 01. April 1948 entschied das Presbyterium „alle Schritte zur baldigen Errichtung der Notkirche zu unternehmen“. In einem Tauschgeschäft gab es für eine größere Menge Kunstdünger 750 Liter Wein – ein offenbar gewinnbringender Tausch zur Finanzierung von Baumaterial. Für die Feierlichkeiten der Grundsteinlegung versprach der Vertreter des Hilfswerkes 2 Pfund Fett und 15 Pfund Erbsen zu liefern, damit die Gäste verköstigt werden können. Am 19. Juni 1949 wurde die Melanchthonkirche eingeweiht. Was die Kirchengemeinde dazu bewogen hat, ihrer neuen Kirche den Namen Melanchthonkirche zu geben, ist unklar. Vielleicht inspirierte sie die räumliche Nähe zur großen Lutherkirche und sie sah in ihrer Kirche deren kleine Schwester – so wie Philipp Melanchthon eine Art Juniorpartner Martin Luthers war.

Notkirche – keine Notlösung

Der Architekt des Notkirchenprogramms war Otto Bartning (1883-1959). Anfangs hatte Bartning intensiven Kontakt zur Bauhausbewegung, ging dann aber eigene Wege. Er reflektierte das Bauen – seien es Wohnhäuser oder Kirchen - auf dem Hintergrund seiner Zeit und der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die gesellschaftliche Verantwortung des Architekten, die soziale Dimension seiner Bauten, die Gebrauchsfähigkeit waren für ihn ebenso wichtig wie der künstlerische und geistige Anspruch. Insbesondere für den protestantischen Kirchenbau war Otto Bartning wegweisend, weil eigentlich immer seiner Zeit voraus – sowohl gedanklich, als auch was Ästhetik und Material angeht.

Notkirche war für ihn nie ein Provisorium oder eine Notlösung. In der Einweihungsrede zur ersten Notkirche 1948 wird dies deutlich: „Sehet, diese vom Boden auf zueinander geneigte und zum Rund sich schließende Konstruktion, sie ist ein solches Zelt in der Wüste. Wir wissen aber, dass gerade in der Wüstenei der Stadt, dass in der Not und Verwirrung der Seelen die klare Ordnung, die Einfalt und unbedingte Ehrlichkeit dieses Zeltes von tiefster Bedeutung ist. Wir wissen, dass Notkirche nicht notdürftiger Behelf, sondern neue gültige Gestalt aus der Kraft der Not bedeutet.“

Die Konstruktion der Notkirchen

Otto Bartning hatte erstmalig ein Typenprogramm für Kirchen entwickelt. Die Kirchen bestehen aus Träger Bindersystemen als selbsttragendes Grundgerüst aus Holz, das aus Schweden importiert wurde. Darüber eine Holzabdeckung und dazwischen – unterhalb des Daches – eine Glasfensterreihe aus einfachem Kathedralglas. Aufgrund der seriellen Vorfertigung – also im Grunde Fertigbauteile – konnten die Notkirchen sehr günstig gebaut werden. Das Mauerwerk zwischen den Stützen sollten die jeweiligen Gemeinden aus den Steinen der zerstörten Kirchen errichten. Zum einen war auch dies ein Beitrag zur Kosteneinsparung, zum anderen förderte es die Bindung der Gemeinde an die neue Kirche.

Die ersten 50 Jahre

Eine deutliche Umgestaltung erfuhr die Melanchthonkirche in den Jahren 1975/76: Die Empore wurde erweitert, um dort eine größere Orgel platzieren zu können. Die einfachen Glasfenster wichen bunten Fenster, die der Glaskünstler Eugen Krumholz aus Klingenmünster gestaltete. Die gemauerte Abtrennung zwischen Kirchen- und Altarraum mit der integrierten Kanzel wurde entfernt und gegen eine Kanzel aus Holz getauscht. Schließlich – bis auf wenige Bänke im hinteren Teil - wurden die Kirchenbänke durch Stühle ersetzt. Doch ihren typischen Charakter behielt sie - bis hin zu den immer noch originalen Liedtafeln.

Bis in die 80er Jahre gab es ein reges Gemeindeleben. Im Presbyterium der Kirchengemeinde fanden sich die Namen von Honoratioren aus der Innenstadt. Die Veränderungen in der City machten aber auch vor der Kirche nicht halt. Der Anteil der evangelischen Bevölkerung ging immer weiter zurück, Konfirmand*innengruppen umfassten oft nur noch ein Handvoll Jugendlicher. Neue Impulse kamen durch die Umgestaltung des Platzes der ehemaligen Lutherkirche durch den Künstler Gernot Rumpf aus Kaiserslautern im Jahr 1992. Auf dem neu entstandenen Lutherplatz, der diesen Namen seit 2017 auch offiziell trägt und den viele als den schönsten Platz in Ludwigshafen bezeichnen, pulsiert im Sommer das Leben, wenn der plätschernde Brunnen Anziehungspunkt für Kinder und Erwachsene ist und die Gastronomie im Lutherturm zum Verweilen einlädt.

Die Melanchthonkirche heute

Auch 70 Jahre nach ihrer Errichtung gibt es die Melanchthonkirche als einzige evangelische Kirche im Stadtzentrum immer noch. Die Gemeinde ist kleiner geworden und fusionierte 2016 mit den beiden anderen Innenstadtgemeinden im Hemshof und im Stadtteil West zur Protestantische Jona-Kirchengemeinde. Der wöchentliche Gottesdienst – jeweils um 9.30 Uhr – und Öffnungszeiten die Woche über sind regelmäßige Angebote. Die Citykirchenarbeit und die Arbeit „Am Lutherplatz“ nutzen die Kirche für Veranstaltungen, Ausstellungen, kleine Konzerte und Aktionen. Die Melanchthonkirche wird so zur Heimat derer, die zufällig vorbeikommen und punktuell ein Angebot nutzen. Zunehmend finden auch nichtkirchliche Einrichtungen wie das Theater im Pfalzbau oder die Staatsphilharmonie Gefallen an dem schönen Raum und nutzen ihn für Aufführungen und Konzerte.

Die Glasfenster

Auf der Schnittstelle von Kirche und Stadt finden sich an der hinteren Außenwand fünf Glasfenster in jeweils einem Farbton. Im Zentrum genau auf der Achse der aufgeschlagenen Bibel auf dem Altar das Bibelfenster - gewissermaßen als Herzstück jeder protestantischen Kirche. Ganz links und rechts die Fenster zu den Sakramenten: Taufe und Abendmahl. Als gelebte Konsequenz aus den Sakramenten die Liebe zum Nächsten als Helfen und Teilen in den Fenstern „umsorgende Liebe“ und „helfende Hände“ dargestellt.

Im Altarraum ereignet sich die ganze Heilsgeschichte – vom anfänglichen Nichts, aus dem Gott die Welt erschaffen hat über Geburt und Tod Jesu bis zum Reich Gottes am Ende der Zeit.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
(Hebräer 13,14)

Die zeltartige Konstruktion unterstreicht das Vorübergehende unseres Daseins. Und doch ist die Melanchthonkirche mit ihrem dunklen Holz, den bunten Glasfenstern und dem immer wieder wechselnden Lichteinfall ein freundlicher Raum, dessen warme Atmosphäre Menschen in vielen Situationen schätzen.